Trotz der 1700 m Seehöhe war der Schlaf kein Problem und der Tag startete mit bergabfahren. Von der kargen Gegend um Bivio ging es hinab nach Sur und dann öffnet sich beeindruckend das Tal Surses/Oberhalbstein mit dem Ort Savognin. Es geht lange bergab bis man schließlich in Tiefencastel auf 859 Höhenmeter angelangt ist. Dann gehts natürlich gleich wieder bergauf, aber nicht lange und im Tal des Flusses Albula nach Thusis und weiter nach Bonaduz ins Rheintal. Dort angelangt denkt der Radfahrer, nun geht es gemächlich bergauf am Rhein entlang bis zur dessen Quelle am Oberalp. Aber denkste. Von Bondaduz bis Ilanz geht am Rhein entlang - durch die Rheinschlucht nur die Eisenbahn, kein Radweg (soweit mir bekannt ist). Also geht es von Bonaduz nach Ilanz über den schönen Ort Versam (909m Seehöhe) ganz schön anstrengend nach Ilanz. Fast wie eine Paßbezwingung. Dafür rollt man dann entspannt nach Ilanz hinab. Nach Versam kommt man noch durch Valenscha, wo ich den größten aller schweizer Dorfbrunnen sah (von denen, die ICH bisher gesehen habe). Ich wollte dann schneller vorankommen und fuhr einige Zeit auch auf der Bundesstraße 19. Aber das ist in dieser Gegend nicht zu empfehlen, der Verkehr ist einfach zu brutal und die Straße zu wenig breit. Also folgte ich dem Radwegweiser auf eine geschotterte Nebenstraße, die aber keine groben Steine aufwies. Es gesellte sich ein Gewitter dazu und es begann ganz leicht zu regnen. Plötzlich krachte es ganz komisch, wie Gewitter nicht klingen. Es wurde mit jeder Minute heftiger, bis ich die Ursache sah: ein Schießplatz voll belegt mit Schützen - und das direkt neben dem Radweg. Mit gemischten Gefühlen fuhr ich weiter, ich dachte: so muß es im Krieg klingen. Dann war auch das vorbei, die Wolken wirkten bedrohlich und der Regen nahm merklich weiter zu. Endlich kam der nächste Ort - Danis. Er war nicht groß, aber ich wollte versuchen, Unterkunft zu bekommen. Zuerst mußte ich hochfahren und es sah nicht so aus, als ob es dort was geben würde. Bei einem Haus waren viele Räder heraußen. Auf Verständnis für einen Radler hoffend, läutete ich und schilderte dem Mann, der öffnete, mein Begehr. Er war sehr nett, bat mich hinein, fragte noch, welche Art Quartier ich suchen würde (privat oder Hotel) und telefonierte dann in rätoromanisch. Dann hieß er mich, 100 m weiterzufahren, wo mich tatsächlich eine nette alte Dame mit Zimmer mit Frühstück erwartete. Sie überließ mir auch die gerade leerstehende Ferienwohnung zum Aufenthalt und der Tag endete gut.
Tumegl Ortenstein | Schloss Rothenbrunnen | Rheinschlucht |
Surses-Tal | Savognin | Tal der Rheinschlucht |
Versam GH Roessli | Blumen GH Roessli | Versam Kirche |
Valenscha Brunnen | ||
Mit gutem Frühstück versorgt, ging es voller Radldrang am nächsten Morgen bei schönstem Wetter weiter Richtung Disentis und Oberalppaß. Auf den Oberschenkeln schmerzte ein wenig der Sonnenbrand vom Vortag und der Verkehr wurde besser, sodaß schließlich die Bundesstraße akzeptabel zu fahren war. Die Straße steigt langsam an und erst nach Sedrun und Tschamut heißt es richtig paßmäßig treten. Um 17h war ich auf der Oberalp Paßhöhe und stürzte mich sogleich hinunter Richtung Andermatt. Dort war die nächste Entscheidung fällig. Wie lautet das nächste Ziel ? Nach Norden (Altdorf) wollte ich nicht, denn es zog mich Richtung Spanien. Hätte ja sein können, es nimmt mich wer mit dorthin. Also Südwesten. Andermatt gefiel mir irgendwie nicht und ich hatte noch Fahrwillen. So befand ich mich gegen 19h mitten im Anstieg zum St. Gotthard Paß, wohl wissend, daß ich vor 20h niemals oben sein würde. Ich hoffte auf ein Quartier am Weg nach oben, aber da war einfach nichts. Der Tag ging zur Neige und ich war wieder einmal in der Wildnis. Von der Ferne donnerte es noch dazu. Es war nicht mehr heiß, das half sehr, man konnte einfach schneller fahren und mußte weniger trinken. Aber das Gepäck war einfach zu schwer, um schnell vorwärtszukommen. Es kam, wie es kommen mußte, die Nacht kündigte sich an und war da. Ein Wegweiser "St. Gotthard Paß" schickte mich dann noch auf eine Kopfsteinpflasterpiste, der ich bis zum Paß folgte. (Soweit ich sah, wäre es auch anders gegangen). Endlich um 20:30h war ich beim Paß-Schild und machte das Selbstbildnis. Es war auch ein altes Hotel neben dem Paßschild, wo ich hätte Quartier nehmen können. Aber es gefiel mir nicht und laut Karte kam ja gleich hinter dem Paß Airolo. Dort wollte ich übernachten. 2 Straßen führten in diese Richtung, die Bundesstraße und eine schmale, schlechte. Ich wählte die Bundesstraße, wo ganz ganz wenig Verkehr war und düste bergab und hoffte, daß der Radscheinwerfer nicht den Geist aufgeben möge. Ich hatte Glück - er hielt auch diese Abfahrt aus. Aber aus einer kurzen Abfahrt wurde nichts. Es ging bergab, bergab, bergab. Irgendwann tauchten unten tausende Lichter auf - Airolo. Aber diese kamen nur sehr langsam näher. Mittlerweile war es komplett finster. Und dann kam dieses Schild. Es nennt sich Autostraße. Was sollte ich tun ? Ich verließ schweren Herzens die Superstraße und folgte der Alternativstraße. Das war ein Jammer: Kopfsteinpflaster, schlechteste Fahrbahn, nicht einmal die Kehren waren durch Warnzeichen gesichert. Ich verfluchte die Schweizer Radwegverantwortlichen und die Straßenplaner. Aber wäre ich weiter gefahren - ich wäre wohl gar auf der Autobahn gelandet. Also rumpelte ich vorsichtig eine weitere halbe Stunde dahin und irgendwann kam ich dann in Airolo an, ich denke, es war 21:30. Hier war alles anders, alles italienischsprachig. Kaum Unterkünfte, wenigstens ein Wegweiser mit Hotelnamen. Bei einer offenen Bar fragte ich nach einem Quartier und man schickte mich ein Stück weiter zu einer richtigen Spelunke. Dort bekam ich aber kein Zimmer (obwohl eine Tafel Zimmer offerierte), sondern der Wirt schickte mich Richtung Bahnhof zu einem Hotel. Also fuhr ich zum Bahnhof. Das Hotel war alt und vor dem Hotel saßen hunderte Soldaten und soffen und grölten. Na danke. Neben dem Hotel war ein kleineres Minotel. Dort fragte ich und bekam ein preisgünstige Zimmer um 85 Franken. Es war wirklich ein Schnäppchen - aber nur für Eisenbahnfanatiker, die sich nicht an Zügen sattsehen und -hören können, die aus dem St. Gotthard-Tunnel herauskommen. So war der Schlaf ein leichter und unruhiger. Der St. Gotthard war die WENDE. Ich hatte genug vom Süden (ich mag es nicht, wenn ich die Leute nicht verstehe und sie mich). Norden und somit ein hoher Paß war angesagt.
Das Frühstück war gut und die Auswahl reichlich. Um 10 Uhr gings los. Wieder ein Traum-Wetter-Tag. Von links kam die Sonne - stundenlang. Das Val Bedretto mit dem Fluß Ticino ist wunderschön und der Anstieg ist regelmäßig und unspektakulär. Aber der Vortag war einfach zu kräftezehrend gewesen. Die Radlust war nicht so groß und bei All' Acqua war ein einladendes Restaurant. Spaghetti (keine Highlights) und 2 Bierchen à 0.3 L sollten Kraft geben. Aber irgendwie war es mühsam. In der heißen Sonne kämpfte ich mich jeweils 100 Höhenmeter weiter und pausierte dann. Zum Glück gab es Wasser zur Kühlung für den Kopf. Es war ein richtiger Kampf mit dem Berg - aber irgendwann war er gewonnen. Aber er hatte mich auch besiegt. Nach diesem Paß war die Wohlfühlphase vorbei. Schnell war ich in Ulrichen, ein schöner Ort mit vielen einladenden Holzhäusern. In einem bekam ich ein Zimmer - aber ohne Frühstück. Da es im Ort eine Bäckerei gab, wo man Frühstücken konnte, nahm ich das Zimmer. Es war das räumlich kleinste meiner Reise, aber nicht teuer.
Am nächsten Morgen fuhr ich zum Frühstück in die Bäckerei, wo ein dürftiges Frühstück für 18 Franken mich erwartete. Anschließend fuhr ich Richtung Furkapaß, aber nach ein paar km war klar - es hat ein Ende mit den Alpenpässen ! Es ging ganz langsam bergan nach Oberwald. Dort "erwartete" mich der Autoreisezug nach Realp (hinter dem Furkapaß) richtiggehend. Die Luft war heraussen. In Realp stieg ich aufs Rad und rollte nach Hospental und Andermatt hinunter. Den Oberalppaß wollte ich ohnehin nicht ein zweites Mal fahren und wußte von anderen Radfahrern, daß man mit dem Zug (Zahnradbahn) von Andermatt hochfahren konnte. Auch in Andermatt kam ich genau zum nächsten Zug zurecht und in der Eile gab es Probleme, das Rad in den Gepäckwagen hochzuhieven, weil es mit Gepäck so schwer war. Der junge Schaffner bemerkte: "wenn ich 14 Tage mit dem Rad verreise, habe ich 3.6 kg mit - was schleppen SIE denn alles mit ?". Als er dann durchging forderte ich ihn scherzhaft auf, mir mal seine Packliste zuzusenden. Er kam dann wieder und setzte sich zu mir und wir redeten lange über Radgepäck und seine bisherigen Radreisen (Irland z.B.). Er revidierte seine Gewichtsangabe langsam nach oben (Werkzeug hatte er direkt am Rad und daher nicht gerechnet und einiges andere). Im Grunde hatte er aber recht - ich hatte viel zu viel Gewicht am Rad. Auf dieser Reise hatte ich das erste Mal begonnen, regelmäßig am Abend zu waschen und daher hatte ich z.B. noch immer 8 unbenutzte Kleidungsstücke, die ich herumschleppte. Von Oberalp fuhr ich wieder selbst nach Disentis und dann nach Ilanz. Mittlerweile hatte sich mein Befinden verschlechtert und ich hatte Bauchkrämpfe, leichtes Fieber und wurde immer müder. Am Bahnhof Ilanz ließ ich mich beraten und kaufte dann eine Fahrkarte bis Feldkirch. Ich wollte nun nur noch heim - ich spürte, ich war krank. Am Abend kam ich in Feldkirch (18:30 ca) an und es ging kein Zug mehr mit Fahrradmitnahme bis Linz. Also beschloß ich in der Umgebung zu übernachten und nächsten Tag heimzufahren. Von Feldkirch radelte ich noch nach Nenzing, wo ich ein Quartier bekam. Die Nacht war nicht ganz einfach, Bauchkrämpfe und Fieber und Fieberträume.
Schon 1 Stunde vor dem vereinbarten Frühstückstermin stand ich auf, ich wollte absolut nichts essen und das Frühstück abbestellen. Das war schon zu spät, aber ich verzichtete komplett auf ein Frühstück. Ich packte zusammen und fuhr zum Bahnhof. Während ich noch den Fahrplan studierte und sah, daß gerade eine Zug gefahren sein mußte, kam eine unverständliche Durchsage und als ich aufsah, bemerkte ich, daß der Zug doch noch gekommen war mit etwas Verspätung. Leider war ich zu weit weg und er fuhr gerade ohne mich ab. So quälte ich mich nach Bludenz, kaufte mir eine Fahrkarte nach Linz, jedoch ohne garantierte Fahrradmitnahme. Nach einer Stunde war ich am Bahnhof, hoffend einen Platz für mein Rad zu bekommen. Das ging gut und ich saß im Zug nach Hause. Außer ein paar Schluck Wasser und Coca Cola nahm ich den ganzen Tag nichts zu mir. Das Zugfahren war heiß und unangenehm, weil alle Plätze vollbesetzt waren. Sonntag war ein schlechter Termin, weil die Ferien in Westösterreich gerade zu Ende gingen und daher erhöhtes Fahrgastaufkommen war. Am späten Nachmittag war der Zug endlich in Linz und per Auto gings nach Hause. Dort legte ich mich augenblicklich ins Bett und brauchte über 1 Woche bis sich die Verdauung wieder normalisiert hatte und die Lebens- und Radfahrgeister wieder erwachten. Ich führe die relativ schwere Erkrankung auf eine Schwäche des Immunsystems zurück, verursacht durch zu große Anstrengungen. Nächstes Mal will ich klüger sein und die von allen erfahrenen Reiseradlern empfohlenen Ruhetage (etwa nach jeweils 4 Tagen) einhalten.